Ralf Wagner
[20.6. 2003, ergänzt 1.2. 2004]
Kopftücher im öffentlichen
Dienst?
u.a. zu: Chrsitian Bommarius: Weil ein Gespräch wir sind in der Berliner Zeitung
Was für ein Schwachsinn: Kopftücher in
Saudi-Arabien sollen ein Zeichen der Unterdrückung der Frau
sein, Kopftücher in Deutschland hingegen eine Aufforderung zum
interkulturellen Dialog.
Die Bedeckung der Frauen als "Schutz des Mannes" vor
sinnlichen Begierden ist frauenfeindlich und mittelalterlich -
und so keineswegs durch den Koran vorgeschrieben. Man könnte ja
auch aus dem gleichen Grund die Männer verhängen und mit
Blindenhunden ausstatten.
Daher geht es auch beim Streit um Fereshta Ludins Kopftuch nicht
um ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis in den
Klassenzimmern oder wie man jüngst in der ZEIT von einer
Hamburger Designprofessorin lesen konnte gar um ein modisches
Accessoire. Es geht um die permante Demonstration der
Unterordnung von Frauen. Und das widerspricht nicht nur dem
Grundgesetz, das wirft mehr als zweihundert Jahre
emanzipatorischer Bewegung - auch der Männer - auf den Müll und
es ist schon schlimm genug, daß die (meist selbst-) erklärten
Repräsentanten der Zivilgesellschaft, allen voran die Ausländerbeauftragte
der Bundesregierung, dem nicht täglich entgegentreten und deren
Vorkämpferinnen wie Alice Schwarzer auch in die angeblich ausländerfeindliche
Ecke stellen wollen.
Keiner darf Frau Ludin am Tragen eines Kopftuches hindern. Aber
sie demonstriert damit täglich gegen Grundwerte der Verfassung
und der Gesellschaft, die ihr eine neue, sichere Heimat gegeben
hat und in welche sie sich angeblich integrieren will.
Gefangen in einer Blase multikultureller Blütenträume muß man
vielleicht nicht bemerken, daß eine mittlerweile europaweite,
gut finanzierte Kopftuchinitiative gibt. Und man will möglicherweise
auch nicht wahr haben, daß dahinter der Versuch steht, über
eine Vielzahl von Prozessen über angeblich priviligierte freie
Religionsausübung Ausnahmen von den Grundrechten zu erstreiten -
zuerst natürlich angeblich nur für sich selbst, dann durch
milden Druck in der eigenen Gemeinschaft und später für die
gesamte Gesellschaft. Am Anfang stehen die Kopftücher, dann
kommen Zwangsverheiratungen und dann das Recht der sogenannten
Familienehre. Es ist daher mehr als groteskt im Aktivismus
solcher Frauen wie Fereshta Lundin gar die wirklich emanzipierte
Muslima entdecken zu wollen. Imgrund ist diese Bewegung reaktionär
und im schlimmsten Sinne fundamentalistisch.
Nein, all das muß man vielleicht nicht erkennen, aber ein
aktiven, einen sehr, sehr aktiven Einsatz für die Grundrechte
und hier eben insbesondere für die Rechte der Fauen darf man von
unseren Regierenden doch wohl erwarten. Ein Dialog ist doch wohl
nicht nur das staunende Zuhören sondern auch das Eintreten für
eigenen Positionen - wenn man denn welche hat. Und wenn man sie
nicht hat, sollte man zumindest auf die Erfahrungen wirklich
emanzipierter islamischer Frauen hören, die in islamischen Ländern
ebenso wie in Deutschland die Erfahrung gemacht haben, daß der
Kampf um die Gleichberechtigung immer auch ein Kampf gegen das
Kopftuch war. Und sie erlebnen jetzt eine islamistisches Zurückrollen
und sie erleben unsere Selbstverleugnung, unsere Untätigkeit und
sie erleben vielleicht auch unsere Unfähigkeit, hier Grenzen zu
setzen.
Setzen wir diese Grenzen aber nicht, wird man auch in Deutschland
in ein paar Jahrzehnten das Tragen von Kopftüchern ganz
offiziell als Symbol der Unterordnung der Frau feiern - so wie
heute in Saudi-Arabien.
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[25.10. 2003]
Niederlage der Langsamkeit
zu Robert Leicht: Wir waren zu langsam - in Die Zeit
Man kann es durchaus nachvollziehen, daß der nunmehr Dr. h.c. Robert Leicht in seinem Festvortrag vor der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Münsteraner Universität zur Nachsicht mit der Langsamkeit des Islam bei der Gleichstellung der Frau aufruft, weil auch die christlichen Kirchen nicht unbedingt zu deren Vorkämpfern gehörten. Akzeptieren kann man es aber nicht. Anstatt kritisch nach den Ursachen dafür zu fragen, warum die beiden großen christlichen Kirchen auch in Sachen Gleichstellung beständig von den gesellschaftlichen Realitäten überholt worden sind, fordert er auch für den europäischen Islam das gleiche Recht auf Langsamkeit. Dabei verkennt er, daß es dabei gar nicht darum geht, daß sich die Religionsgemeinschaften untereinander irgendwelchen Respekt zollen. Es geht um die deutsche und europäische Gesellschaft des beginnendenden 21. Jahrhunderts, in die Gleichstellung der Frauen mitunter auch gegen kirchlichen Widerstand große Fortschritte gemacht hat. Diese Realität ist der Maßstab und nicht die Geschwindigkeit, in der sie von den christilichen Kirchen nachvollzogen wird - und gleiches gilt auch für den Islam und alle anderen Religionsgemeinschaften. Und um bei Dr. Leichts Beispiel zu bleiben: Wenn eine muslimische Frau in unseren Breiten nach einer akademischen Ausbildung in einem Vollzeitberuf auf der permanenten Demonstration der Minderwertigkeit der Frau (und nichts anderes ist das Kopftuch) besteht, muß man ihr sehr wohl und gerade ihr eine reaktionäre Agitation unterstellen, denn die Gleichstellung der Frau gehört zu den Grundwerten in diesem Land. Und wenn einige, wie Robert Leicht es beschreibt, etwas länger gebraucht haben, dieses nachzuvollziehen, kann man nur hoffen, daß auch sie diesen Wert nun um so entschlossener verteidigen.
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