Ralf Wagner
[2.7. 08]

Schuld sind immer die anderen
zu "Es gibt ein Sorgenkind: Ostdeutschland" - Interview der Chemnitzer Freien Presse mit DGB-Chef Sommer vom 25.6. 08 [online nicht verfügbar]

Schuld sind immer die anderen. So funktioniert wohl das schlichte Weltbild des Herrn Sommer. Wenn sich die Unternehmen von der Generation 50+ trennen, dann wettert er gegen den Jugendwahn der Bosse – während gleichzeitig die IG Metall für den Fortbestand der Milliardensubventionen für die Altersteilzeit streikt. Ein wenig Selbstkritik wäre da schon angebracht.
Wenn er nun gegen den Brutalkapitalismus in Ostdeutschland zu Felde zieht, dann hat der DGB-Chef vielleicht schon vergessen, dass vor gar nicht all zu langer Zeit wiederum die IG Metall gegen die übergroße Mehrheit der Beschäftigten hier einen Streik um Arbeitszeitverkürzung vom Zaun brach. Er wurde Mangels Unterstützung abgebrochen, denn die Arbeitnehmer merkten bald, dass die hier einen Standortvorteil für Ostdeutschland beseitigen werden sollte – wohl vor allem, um die Abwanderung von Unternehmen und Arbeitsplätzen aus dem Westen in den Osten zu verhindern.
Auch die Diskussion um den Mindestlohn ist mehr als blauäugig. Ein bundeseinheitlicher Mindestlohn wird die Ostdeutschen weit stärker treffen als die Westdeutschen. Er liegt hier für ungleich mehr Beschäftigte über ihren derzeitigen Einkommen und müssten ihn die in der Regel kapitalschwachen ostdeutschen Unternehmen zahlen, gäbe es sie bald nicht mehr und die Märkte fielen den kapitalstärkeren Unternehmen aus dem Westen zu. Chancengleichheit nur allein beim Lohn gibt es nicht, wie das Beispiel Deutsche Post und PIN gezeigt hat.
Geradezu zynisch und grotesk aber wird es, wenn ein Gewerkschaftschef ein Ende der staatlichen Lohnergänzungsleistungen fordert. Wenn sich die Produktivitätsunterschiede in den Industrieländern immer weiter vergrößern – und damit die Einkommensunterschiede, dann können, von besonders gefragten Jobs einmal abgesehen, Menschen in Arbeitsverhältnissen mit geringer Produktivität eben nicht von ihrer guten Arbeit leben, denn das Preisniveau bestimmten die gut Bezahlten. Die Lohnsubventionen sollten daher besser ausgebaut werden, um zu sichern, dass die, welche arbeiten, mehr verdienen, als diejenigen, die nicht arbeiten. Und obwohl z.B. die negative Einkommensteuer in den USA (eben dieses staatliche Zusatzeikommen) beweist, dass die Subventionierung von Arbeit allemal billiger ist als die Finanzierung von Arbeitslosigkeit (von den persönlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen ganz zu schweigen), scheint für Herrn Sommer nur eines zu gelten: Besser keinen Arbeitsplatz als einen, der nicht den verstaubten gewerkschaftlichen Vorstellungen entspricht. Das ist Brutalignoranz der wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte (in der Sprachschöpfung des DGB ohnehin alles nur neoliberaler Budenzauber) – und der Wirklichkeit.
So dringend nötig Gewerkschaften derzeit auch wären, denn die Nettorealeinkommen sinken ja in der Tat, diesen Gewerkschaften kann man einfach nur davon laufen.

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